Der öffentliche Nahverkehr (2)

Menschen stehen unmotiviert um einen mittelhohen Holzstab, eine Art Marterpfahl, versammelt. Was tun sie dort bloß?

Plötzlich nähert sich ein Bus und einige der Versammelten heben ihren Arm. Der Bus hält und die Menschen drängen hinein.

Klar, der Pfahl ist eine Bushaltestelle, ohne Hinweis darauf, welcher Bus dort fährt oder wann er an der Haltestelle eintrifft.

 

Es wäre wahrlich zu einfach, wenn sich immer das gleiche Bild böte. Manchmal ist schlicht kein Holzpfahl zu finden. Bei genauer Betrachtung erschließt sich, dass die ein oder andere Haltestelle durch ein Metallschild gekennzeichnet ist, ebenfalls ohne jeden Hinweis zu den dort verkehrenden Bussen.

 

Auf großen Straßen, wie beispielsweise der Avenida Santo Amaro, findet sie sich schließlich, die nahezu konventionelle Haltestelle, denn der Reisende erfährt an den überdachten Metallunterständen zwar welcher Bus dort verkehrt und an welcher Plataforma (Haltestelle) er hält, doch lange noch nicht, wann er fährt. Wenn nicht eine digitale Anzeigentafel angebracht ist, auf der allerdings längst nicht alle Linien angezeigt werden.

 

In São Paulo gibt es 971 Hauptbuslinien, wie auch immer sich diese definieren mögen. Berlin, im Vergleich dazu, verfügt tagsüber über 149 und nachts über 63 Buslinien. Selbst wenn der Reisende an einer der modernen Haltestellen steht, birgt das Erreichen des Fahrziels einige Tücken.

 

Im Minutentakt donnern die Busse durch die Avenida Santo Amaro. Auf der digitalen Anzeigentafel der Busse werden die Bussnummer und das Reiseziel angezeigt, meist unterbrochen durch die Angabe eines Haupthaltepunktes. Da ist schnelle Auffassungsgabe gefragt.

 

Auf der Einstiegsseite ist eine Metalltafel angebracht, auf der einige große Straßen, die auf der Route liegen, verzeichnet sind, mit Pfeilen nach oben und unten. Ohne eine gewisse Ortskenntnis steht der Reisende im Regen. Wenn er des Portugiesischen nicht mächtig ist, denn die brasilianischen Busfahrenden sind sehr hilfreich. Fragt ein Unkundiger, diskutieren sogleich alle an der Haltestelle Versammelten über die beste Route für den gestrandeten Reisenden.

 

Ist einmal der richtige Bus gefunden, gilt es weitere Herausforderungen zu bewältigen. In der Mitte des Busses thront der Cobrador (Fahrkartenverkäufer) an einem Drehkreuz, das jeder Passagier durchqueren muss, vor einer Kasse und einer kleinen Säule mit einem elektromagnetischen Erfassungsgerät. Hat man kein Kleingeld zur Hand – die Busfahrt kostet in der Regel drei Reais – bietet sich das Bilhete Único an, eine aufladbare Fahrkarte, die für alle SP Trans-Verkehrsmittel genutzt werden kann.

 

Weitere Hürden tun sich auf: Die Busse haben Ausstiege auf beiden Seiten. Der Reisende muss also wissen, ob seine Zielhaltestelle auf der rechten oder linken Ausstiegsseite liegt. Dies sollte er rechtzeitig bedenken, denn er muss gegebenenfalls größere Menschenansammlungen durchqueren, insbesondere während des Berufsverkehrs.

 

Ist der Bus leer, sieht sich der Passagier mit einem anderen Problem konfrontiert. Nur durch große Standfestigkeit und ein geschicktes Festhalten kann der Fahrgast vermeiden, durch den gesamten Bus geschleudert zu werden, denn die brasilianischen Busfahrer fahren, wenn der Verkehr dies erlaubt oder eine Busspur vorhanden ist, als würden sie an der Formel 1 teilnehmen. No risk, no fun: Busfahren in São Paulo ist ein echtes Erlebnis.