Das süße Leben ist hier

Mein Mann hatte mich gewarnt und doch konnte ich es nicht lassen: Meinen ersten Tag in der Stadt begann ich mit einem Suco de Laranja, einem Orangensaft, der so süß und süffig war, das ich noch heute daran denke, und mit einem Pão de Queijo, einer Köstlichkeit.

Ich hätte auf die mahnenden Worte meines Mannes hören sollen, denn dieses kleine Teiggebilde, das außen etwas kross, innen ganz weich und mit geschmolzenem Käse gefüllt ist, ist eine Einstiegsdroge in die große Palette deftiger brasilianischer Snacks, die Salgados genannt werden.

Kaum hatte ich Tereza, die schnell zur Freundin werden sollte, zum ersten Mal getroffen, arbeitete sie, eine bekennende Salgado-Süchtige, trickreich an meiner Suchtkarriere.

 

Unter dem Vorwand, mir eine der prächtigsten Straßen São Paulos zu zeigen, lud sie mich ins Cristallo (Rua Oscar Freire, 914, Tel: 11-3082-1783), dessen Claim bezeichnenderweise La dolce vita è qui (Das süße Leben ist hier.) lautet, ein.

 

Eine Coxinha (kleiner Schenkel), eine wie ein Hühnerschenkel geformte Krokette, gefüllt mit zartem Hühnerfleisch, Empada de Palmito und Empada de Camarão, kleine herzhafte Törtchen gefüllt mit Palmherzen und Krabben, und viele kleine gefährliche Pão de Queijo standen vor mir. Dazu ein Suco de Abacaxi com Hortelã, ein frisch gepresster Ananassaft mit Minze. Und einmal mehr war es um mich geschehen.

 

Fortan ging es mir immer wieder so, auch in der Botica do Quintana (Rua André Ampére, 215, Tel: 11-5507-4125) in Brooklin, die für ihre kleinen salzigen Köstlichkeiten mehrfach ausgezeichnet wurde. Dort werden die Salgados in der Tat zelebriert. Die Bolinhos de Rabada com Mandioca, fritierte Kugeln aus einer Art Kartoffelteig, gefüllt mit zartem Ochsenschwanz, werden einzeln in 12 kleinen quadratischen Glasschälchen serviert und schmecken einfach köstlich.

 

Der Gang auf die Waage machte mir schließlich zu schaffen und ich schwor den kleinen Köstlichkeiten ab. Bis zu jenem sonnigen Dienstag, als ich mit meinem Besucher aus Berlin einen Ausflug unternahm. An der Avenida Padre Antônio José Santos bestiegen wir den Bus 477P-10 nach Ipiranga, einem Stadtteil südöstlich des Zentrums, um den Parque Independência mit dem Museu do Ipiranga, auch Museu Paulista genannt, anzusehen.

 

Nahezu eine Stunde fuhren wir und genossen die interessante Stadtrundfahrt zum regulären Bustarif von R$ 3,00 (Eur 1,35), die uns auch durch für mich ganz neue Gegenden der Stadt führte.

 

Als wir gegen 13.00 Uhr an der Endhaltestelle angekommen waren, quälte uns der Hunger. Bevor wir die Gegend um das Flüsschen Ipiranga, dessen Name aus dem Tupi-Guarani stammt und übersetzt „Roter Fluss“ heißt, in Anspielung auf das bei Regenfällen durch die rote Erde gefärbte Wasser, wollten wir uns stärken. Doch wo?

 

Ich erspähte eine an eine Filmkulisse erinnernde Bar & Lanchonete, auf die wir mutig zuschritten, denn das Bestellen würde in Anbetracht unserer eingeschränkten Sprachkenntnisse vermutlich eine Hürde sein. Speisekarten gab es, wie befürchtete, nicht. Die Tagesangebote waren unleserlich und für uns eher kryptisch mit Kreide auf eine Tafel gekritzelt worden.

 

Was tun also, um unseren Hunger zu stillen? Wir entschieden uns für die bewährten Salgados, die in einer kleinen Vitrine dargeboten wurden, und bestellten per Fingerzeig. Ich wählte zwei Mal Bolinho de Arroz com Espinafre (frittierte Reiskugeln mit Spinat) und ein Bolinho de Bacalhau (frittierte Stockfischbällchen). Mein Gast entschied sich für Frango Empanado (panierte Hähnchenbrust).

Ein Suco de Laranja, der in einer altmodischen Saftpresse vor unseren Augen hergestellt wurde, rundete das Essen in dieser besonderen Atmosphäre ab.

 

Um eine Bar herum saßen Menschen aus der Nachbarschaft, Berufstätige aus der Umgebung und ein brasilianisches Touristenehepaar mit Kindern, an den Tischen aßen Handwerker, Studenten und ein stylischer Mann, der etwas von einem (Lebens)-Künstler hatte.

 

Hinter der ovalen Bar mit Retro-Chic bewegten sich drei Kellner auf vielleicht zwei Quadratmetern in graziler Anmut, jonglierten Teller oder reichten Getränke.

 

Unser Kellner, ein älterer Mann, sorgte gut für uns und schenkte uns, sobald der erste Saft getrunken war, aufmerksam nach. Auch die Tagesnachspeise bekamen wir ungefragt- Gelatina vermelhia (rote Götterspeise), denn ein Essen ohne Nachtisch ist in dieser unglaublich charmanten Bar offensichtlich nicht vorgesehen.

 

Nie werde ich diesen unerwarteten Genuss in dieser Bar ohne Namen vergessen, die köstlichen Salgados in diesem unwirklichen, bezaubernden Ambiente.