Gegen alle Klischees

Brasiliens Elf-Millionen-Stadt São Paulo gelte als hässlich und gefährlich, so der „Spiegel“.

Liest man gar den Abschnitt Kriminalität in den landesspezifischen Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes wird einem Angst und Bange.

Nie werde ich die erste gemeinsame abendliche Busfahrt mit meinem Mann vergessen, als er, der Autofahrer, nachdem wir ausgestiegen waren, erleichtert und glücklich feststellte, dass wir ja gar nicht überfallen worden wären.

 

Die allgegenwärtigen Warnungen können den Newcomer tatsächlich verunsichern. Unsere Erfahrungen stehen den allgemeinen Schreckensberichten allerdings diametral entgegen, auch wenn wir das Schicksal häufig geradezu herausgefordert haben.

 

Alles begann mit einer Einkaufstüte: In den Umzugswirren war ich abends zum Supermarkt unseres Vertrauens gegangen, um kurz ein paar Lebensmittel einzukaufen.

Im Apartment wieder angekommen, stellte ich jedoch fest, dass die wesentlichen Lebensmittel fehlten. Dass ich sie an der Kasse eingepackt hatte, erinnerte ich genau.

Ich rekonstruierte die zurückliegenden dreißig Minuten, in der Hoffnung auf eine zündende Idee. Nachdem ich im Supermarkt gewesen war, hatte ich einen Abstecher in die Padaria gemacht.

Vermutlich hatte ich die Tüte dort stehen gelassen. Nein, es wurde keine Tüte gefunden, erfuhr ich, als ich mich dort radebrechend nach deren Verbleib erkundigte.

Also zurück zum Supermarkt. Kaum hatte ich das Geschäft betreten, winkte mir die nette Kassiererin zu und gab ihrer Kollegin am Counter im Ausgangsbereich ein Zeichen. Die kam daraufhin auf mich zugeeilt und überreichte mir freudestrahlend meinen Einkauf.

 

Gut, dass ich diesen Counter bereits kannte, denn einige Monate später war mein Apartmentschlüssel nach einem Großeinkauf wie vom Erdboden verschluckt.

Den konnte ich nur während des Einkaufs oder beim Ein- oder Aussteigen ins Auto verloren haben. Nachdem die Suche im Parkhaus ergebnislos verlief, wandte ich mich an den besagten Counter und wieder wurde mir freudig der verloren geglaubte Gegenstand präsentiert.

 

Zwei Mal wurde mir der brasilianische Aberglaube fast zum Verhängnis: Als ich an einem meiner ersten Tage in der Stadt in einem Restaurant meine Handtasche neben mich auf den Boden stellte, bekam meine Freundin Tereza fast einen Herzinfarkt.

Ich sollte die Tasche unverzüglich aufheben und an meinen Stuhl hängen, denn sonst würde ich all mein Geld verlieren. Nun, nachdem sie mir schlüssig nahebrachte, welch verhängnisvolle Folgen auf dem Fußboden gelagerte Taschen bringen würden, gewöhnte ich mir an, meine Handtasche stets am Stuhl zu befestigen. Leider mit dem Ergebnis, dass ich sie eines Abends in der Padaria Leirense einfach hängen ließ und mein Geld tatsächlich beinahe verloren hätte.

Doch kaum kehrte ich zurück, wurde mir die Tasche mit meinem Portemonnaie und all meinen Papieren entgegengetragen.

 

In einer anderen Padaria, die ich selten besuche, erlebte ich ähnliches, wenn es sich diesmal auch nur um eine Tüte wundervoller Brigadeiros handelte, die ich zuvor bei Maria Brigadeiro erstanden hatte.

Auch die bekam ich zurück, als ich nach einem ausgiebigen Spaziergang auf der Avenida Paulista deren Verlust realisierte und in die Padaria zurückkehrte.

 

Selbst dass Busfahren in São Paulo gefährlich ist, kann ich aus eigenem Erleben nicht bestätigen, ganz im Gegenteil, denn im Bus machte ich die erstaunlichste Erfahrung. Nachdem ich die Busfahrt bezahlt hatte, setzte ich mich, mit schweren Einkäufen beladen, in die hinterste Reihe, um später schnell und unkompliziert aussteigen zu können.

Kaum saß ich, kam ein junger Mann auf mich zu und hielt mir Geld entgegen. Das kam mir reichlich sonderbar vor und ich erklärte, dass ich nicht verstünde. In exzellentem Englisch erklärte der Endzwanziger, ein Journalist bei Thomson Reuters, dass ich mein Wechselgeld beim Cobrador, dem Fahrkartenverkäufer, liegengelassen hätte.

 

In Morro de São Paulo, unserem Urlaubsparadies in Bahia, war schließlich der Ehering meines Mannes plötzlich verschwunden. Ich hatte ihn zuletzt auf der Fensterbank des kleinen Duschfensters, von dem man in den verwunschenen Urwald blicken konnte, gesehen.

Die Erinnerung meines Mannes, war ob einer schweren Magenverstimmung, völlig ausgelöscht. Nachdem wir die Besitzer des Hotels über den traurigen Verlust informierten, begann die Suche – unter der Pfahlbaukonstruktion des Bungalows und in allen Bereichen des Hotels. Ohne Erfolg, der Ring blieb unauffindbar.

Als wir mehr als 24 Stunden nach dem Verlust den zweiten Strand entlang streiften, regte ich an, im Club do Balanço, dem Restaurant, in dem sich mein Mann am Vortag bei einer Cola von seiner Lebensmittelvergiftung erholt hatte, nachzufragen. Nein, dort wäre der Ring ganz bestimmt nicht und wie ich denn mit meinen rudimentären Sprachkenntnissen danach fragen wolle. Ich insistierte und versuchte es einfach, indem ich auf meinen Ring zeigte.

Das Gesicht des Mannes, den ich fragte, hellte sich sofort auf und er bedeutete mir, ihm zu folgen. Wenig später hielt er mir den schweren, rotgoldenen Ring entgegen. Wir waren sprachlos und zutiefst gerührt, das kostbare Stück wieder in Händen zu halten.

 

Erst einmal konnte ich mich revanchieren, indem ich die beiden größeren Kinder einer Mutter, die gerade in einen Schönheitssalon geeilt war, darauf aufmerksam machte, dass das Portemonnaie ihrer Mutter aus der Gepäcktasche des Kinderwagens, in dem das dritte Kind saß, gefallen war.