„Für Donnerstagabend habe ich etwas für uns! Die Behörde (CRA-SP), für die der Ehemann meiner Cousine arbeitet, feiert am 22. September Jubiläum“. So begann die E-Mail von Cristina, meiner früheren Kollegin aus Berlin, die seit Anfang September hier als Assistentin meines Mannes arbeitet.
Die Feierlichkeit würde im Memorial da América Latina stattfinden, die Banda Sinfônica do Estado de São Paulo würde spielen und viele einflussreiche Paulistanos wären anwesend. Meine Neugier war geweckt.
Was wird mich erwarten? Sicher werde ich der einzige deutschsprachige Gast sein. Soviel ist klar: Diese Veranstaltung kann ich mir nicht entgehen lassen.
Das imposante Memorial da América Latina, unmittelbar am Terminal Rodoviário da Barra Funda, dem Busbahnhof Barra Funda, gelegen, das vom berühmten brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer entworfen und 1987 fertiggestellt wurde, war festlich beleuchtet. Wunderschöne Hostessen, die es locker mit Gisele Bündchen aufnehmen konnten, begrüßten die zahlreichen Gäste.
Der Innenraum stand der Außenansicht in nichts nach. Es präsentierte sich eine atemberaubende Kulisse - eine in blaues Licht gehülltes gewölbeartiges Foyer mit weißen tropischen Blumen in riesigen Glasvasen geschmückt. Sehr dezent nur war das weiße Logo der Organisation an einigen Stellen an die Wand projiziert. Diesen Glamour hatte ich bei Verwaltungsangestellten nicht erwartet.
An der Seite Cristinas und ihrer Cousine Renata lernte ich Flavio, deren Mann – den Organisator des Events kennen. Wahrlich brasilianisch unkompliziert und unkonventionell schüttelten wir wenig später Roberto Carvalho Cardoso, dem vorherigen Präsidenten der Institution und dessen Ehefrau die Hand.
Ich lernte den Anwalt der Familie und dessen Freund Leandro kennen, der, nachdem er einem kurzen Austausch zwischen Cristina und mir gelauscht hatte, bescheiden und zurückhaltend in perfektem Deutsch das Gespräch aufnahm. Unglaublich, da wähnt man sich unter 1000 Brasilianern und dann das.
Leandro, der für eine Partei tätig ist, hatte ein Jahr in Mannheim studiert. Wir plauderten, genossen die kulinarischen Köstlichkeiten und schritten dann zum Festakt in das Auditório Simon Bolívar.
Spätestens als der Moderator den eigentlichen Festakt mit ausgesprochen sonorer Stimme einleitete, begriff ich, dass Administradores nicht, wie angenommen, Verwaltungsanstellte mit klassisch dreijähriger Ausbildung sind.
Das CRA-SP (Conselho Regional De Administração Do São Paulo), das zum 46. Jahrestag geladen hatte, repräsentiert 77.000 Verwaltungsfachleute und 12.000 eingetragene Unternehmen, also den öffentlichen und den privaten Sektor. Es regelt, auch im Namen des Ministeriums für Arbeit, den Berufsstand des studierten Verwaltungsexperten und stellt eine hohe Qualifikation seiner Repräsentanten sicher.
Zu meiner Verwunderung verstand ich (fast) jedes Wort. Hilfreich waren das mäßige Sprachtempo der Festredner und ihr getragener Duktus. Besonders charmant und vermutlich auch eloquent setzte Guilherme Afif Domingos, der stellvertretende Gouverneur des Bundesstaates, die CRA-SP in den Kontext. Kleine Karteikärtchen, die ihn bei der Begrüßung der zahlreichen Ehrengäste unterstützen, tauschte der charismatische Redner dann gegen ein Manuskript, das er kaum ansah.
Eine feierliche Atmosphäre erfüllte den Raum, die schließlich wieder einen Moment lang wundervoll brasilianisch war: Nachdem sich der Vorhang für die Banda Sinfônica do Estado de São Paulo öffnete, konnte das Auditorium beobachten, wie einige Tontechniker völlig entspannt letzte Vorbereitungen für den Einsatz der Musiker trafen, die peu à peu ihre Plätze einnahmen. In Deutschland wäre diese Lässigkeit undenkbar.
Maestro Mark Sadao Shirakawa begrüßte darauf die Gäste und kündigte die Nationalhymne an. Die Gäste erhoben sich, während weitere Musiker eintrafen. Als die ersten Klänge der Hymne den Raum erfüllten, war ich gerührt. Da stand ich nun als Deutsche unter so vielen Brasilianern und lauschte zum ersten Mal bewusst der Hymne des Landes, in dem ich seit knapp über sieben Monaten lebe.
Ein internationaler Kunstgenuss folgte: Werke des New Yorkers Alfred Reed, des Niederländers Johan de Meij und des Briten Edward Elgar wurden gespielt. Heitor Villa-Lobos, der international bekannteste brasilianische Komponist, und der kürzlich in São Paulo verstorbenen Cyro Pereira wurden präsentiert, unterbrochen durch kurze lehrreiche Einleitungen des Maestros.
Es war ein besonderer Abend, der amüsanter nicht hätte enden können, denn zwei Männer sprachen mich an, nachdem sie mich länger beobachtet hatten. Mutig fragte mich einer schließlich, ob ich eine Administradora sei und für ein Interview zur Verfügung stünde. Nein, ich sei selbst Journalistin, entgegnete ich.
Traurig zog mein Berufskollege von dannen, während der schadensfrohe Kollege seine Häme kaum verbergen konnte. Offensichtlich hatte der Fotograf, der mit dem besseren Blick, die Wette gewonnen.