An meinem ersten Wochenende in der Stadt war ich verblüfft: Alle Straßen zwischen der Rua Guararapes, der Avenida Engenheiro Luís Carlos Berrini und der Avenida das Nações Unidas waren menschenleer. Zugegeben, das Hotel befand sich in einem Business District, doch eine Megacity hatte ich mir anders vorgestellt.
Ich befragte Tereza, eine Paulistana. Wenn jemand die Wochenend-Hotspots kennen würde, dann sie. “I hate Sundays”, begann sie ihre Ausführungen. Am Wochenende gäbe die Stadt nicht allzu viel her, erklärte sie. Sicher, es gäbe den Parque do Ibirapuera und einige weitere Orte, doch die meisten Paulistanos würden ihre Wochenenden außerhalb der Stadt, am Strand oder in den Bergen, verbringen.
Im April, zu Tiradentes, einem Feiertag zu Ehren des ersten Nationalhelden des Landes, machten auch wir uns auf den Weg zum Strand. Gegen Mittag fuhren – oder besser – schlichen wir, wie tausende anderer Paulistanos, nach Guarujá. Über vier Stunden brauchten wir für die etwa 65 Kilometer, bis wir den kleinen überfüllten Küstenort unweit der Hafenstadt Santos erreicht hatten.
Etwas glücklicher, wenn auch nicht weniger aufregend verlief unser Wochenendausflug nach Paraty, von dem ich bereits berichtete.
Einen dritten Versuch unternahmen wir kürzlich. In „dem“ lokalen Reiseführer, dem “Fim de Semana“ (Wochenende) São Paulo 2011/2012 war mir Atibaia aufgefallen, eine Kleinstadt, deren Name aus der Tupi-Sprache stammt und „Fluss mit gesundem Wasser“ bedeutet. Wirklich verheißungsvoll und nur 67 Kilometer von São Paulo entfernt.
Ich war auf ein ökologisches Reservat gestoßen mit zwei Trilhas (Pfad, Wanderweg) von neun und elf Kilometern Länge. Wir würden dem Großstadtdschungel für einige Stunden den Rücken kehren und unberührte Natur genießen. Der Rucksack war schnell gepackt.
Die Landschaft um den auf 803 Höhenmetern gelegenen Ort sah vielversprechend aus. Nach einer knappen Stunde waren wir an der Portaria (Pforte) der Fazenda (Landgut), dem Ausgangspunkt unserer Tour, angelangt.
Wie an einer Portaria üblich, wiesen wir uns aus und erklärten unser Anliegen. Wir könnten nicht auf das Gelände fahren, erläuterte der Porteiro (Pförtner) und verwies auf einen kleinen Weg, den wir daraufhin einschlugen. Wie in der Gegend um Cunha („Der steinige Weg nach Paraty“) bedauerten wir, dass wir eine Limousine fahren. Doch wir ließen uns nicht beirren und suchten weiter nach der Fazenda, vorbei an einer Meute bedrohlicher, frei herumstreunender Hunde.
Schnell erschloss sich uns, dass sich die Fazenda definitiv jenseits der Pforte, die wir nicht passieren durften, befinden muss. Nach einer zweiten Charmeoffensive, die den Porteiro zwar beeindruckte, die Schranke aber nicht öffnete, versuchte ich, nahezu ohne Mobilfunknetz, die Nummer der Fazenda anzurufen. Ein schwieriges Unterfangen, denn die Leitung brach zusammen.
Als ich kurz vor Atibaia endlich die Rezeption der Fazenda erreichte und unseren Fall radebrechend schilderte, erteilte meine Gesprächspartnerin unseren Pläne eine Absage, denn heute fände eine geschlossene Unternehmensveranstaltung statt. Unseren nächsten Besuch mögen wir doch telefonisch ankündigen. In der Tat, die Telefonnummer war sicher nicht ohne Grund angegeben.
Unverrichteter Dinge fuhren wir zurück in die Megacity, deren Erholungsräumen wir am darauffolgenden Wochenende eine zweite Chance geben wollten.
Wir besuchten einmal mehr den Parque do Ibirapuera, dieses Mal am Vormittag, mit abertausenden Sportlern und „unsportliche Poser“, denn nach Einschätzung meines Mannes betrieb nur ein Drittel wirklich ernsthafte Leibesertüchtigung.
Der vielfach gepriesene Park der Fundação Maria Luisa e Oscar Americano (Av. Morumbi, 4077) würde uns die Erholung bieten, nach der wir suchten. Im berühmten Tea Room könnten wir einen Nachmittagstee in subtropischem Ambiente genießen. Nachdem wir den Eintrittspreis entrichtet hatten, erkundeten wir das Gelände, über das zahlreiche Helikopter kreisten, denn viele Einwohner des Stadtteils Morumbi, der für seine besonders hohe Helikopterdichte bekannt ist, befanden sich offensichtlich auf den Heimflug. Leiser war es auch im Tea Room, den wir am Ende unsere Runde, nach weniger als fünfzehn Minuten, erreicht hatten, nicht, denn kleine Paulistanos taten alles, um die Teestunde der erholungssuchenden Eltern zu untergraben.
Nachdem uns die Nähe keine wirkliche Erholung beschert hatte, wagten wir am Morgen des 2. November (Dia de Finados/Allerseelen) einen erneuten Ausflug an den Strand. Klüger geworden, verließen wir um kurz nach 8.00 Uhr die bedeckte, kühle, ausgestorben Megacity, in der Hoffnung, die Strecke nach Guarujá dieses Mal schneller zu bewältigen.
Tatsächlich, in nur eineinhalb Stunden erreichten wir den Küstenort, der in Sonne getaucht war, entgegen der Prognose meines Mannes. Wir hatten alles richtig gemacht, zumindest fast alles.
Mein Mann, der ein langärmliges Polo-Sweatshirt, kurzer Hose und Flipflops trug, entledigte sich seines Langarmshirts. Erst krempelte ich die Jeans hoch, dann trennte ich mich von meinem Mehrschichtenlook. Später erstand ich ein hübsches Strandkleid, das ich sogleich anzog.
Stundenlang spazierten wir genussvoll am Strand entlang, bis wir, zurück am Auto, realisierten, dass wir völlig verbrannt waren, denn Sonnenschutzlotion hatten wir nicht aufgetragen. Wir hatten sie an diesem kühlen Tag erst gar nicht eingepackt.
Mit einer bleibenden Erinnerung kehrten wir am Nachmittag zurück in die Megacity, erholt und glücklich, wenn auch leider kreischend rot.
Dank einer Empfehlung meiner Freundin Michaela, die mir das After Sun-Produkt Caladryl ans Herz legte, das laut ihrer Aussage jede Frau in Brasilien benutzt, hat sich meine Hautfarbe inzwischen nahezu normalisierte. Mein Mann strahlt noch heute (Erholung aus).
Eines Tages, da bin ich sicher, werden wir zu echten Routiniers in Sachen Nah- und Fernerholung.