4.320 registrierte Fälle von Mord und Totschlag, unglaubliche 506.654 Straßenraube und 68.582 Fälle von räuberischen Angriffen auf Kraftfahrer verzeichnete São Paulo im Jahr 2010.
Wurden in São Paulo statistisch 10,5 Morde pro 100.000 Einwohner verübt, lag die Zahl für Deutschland insgesamt „nur“ bei 2,7 Morden.
Auffällig auch der Unterschied bei den Straßenrauben: Pro 100.000 Einwohner wurden in Deutschland 59 Fälle angezeigt. In der Megacity waren es 1.236 Fälle.
In der Häufigkeit der räuberischen Angriffe auf Kraftfahrer liegt São Paulo mit 167 Fällen sogar vor Rio de Janeiro mit 125 Fällen. Die Zahlen aus Deutschland liegen bei verschwindend geringen 0,36 Fällen pro 100.000 Einwohner.
Um deutsche Staatsangehörigen, deren Partner und Kinder ab 14 Jahren zu sensibilisieren und auf ein “Worst Case Scenario” vorzubereiten, führt das Bundeskriminalamt (BKA) im Auftrag des Auswärtigen Amtes seit 2008 Präventivmaßnahmen an den deutschen Auslandsvertretungen durch, Anfang Dezember auch in São Paulo.
Die Beratergruppe des BKA und der in São Paulo stationierte BKA-Verbindungsbeamte hatten zu einer Sicherheitsschulung in die Räumlichkeiten der AHK São Paulo, der Außenhandelkammer, eingeladen. An die 100 Interessierte, darunter nicht nur Newcomer wie mein Mann und ich, sondern auch zahlreiche Mitglieder der so genannten “Global Player Initiative”, die im Jahr 2006 vom BKA ins Leben gerufen wurde, waren erschienen.
Aktuell sind 43 deutsche Unternehmen, darunter die meisten Dax-Konzerne, Teil dieser Initiative. Ob es um Schutz von Mitarbeitern und Anlagen, die Angst vor Entführungen oder Investitionsentscheidungen geht – die Unternehmen, so ist zu erfahren, wünschten vor allem eine schnellere und umfangreichere Weitergabe von Informationen, sobald sich die Situation in einem Land oder gar für einzelne Konzerne gefährlich verschärft. Eine Art Frühwarnsystem also, in dem das BKA als zentrale Anlaufstelle für Informationen ausländischer Polizeibehörden unverzichtbar ist.
Doch auch Repräsentanten kleiner und mittelständischer Unternehmen, Ehefrauen und zwei Jugendliche sind vor Ort, jeweils mit den unterschiedlichsten Erfahrungshintergründen.
„Ich lebe seit 22 Jahren in der Stadt“, berichtete uns ein beruflicher Kontakt meines Mannes am Rande der Veranstaltung. „Einmal wurden meine Frau und ich bei der Ausfahrt aus unserem Condomínio, auf dem Weg in den Urlaub, überfallen“. Das Ehepaar reagierte vorbildlich, stieg aus dem Auto aus, überließ den Dieben das Fahrzeug und die persönlichen Wertgegenstände, ganz wie in der Sicherheitsschulung angeraten, und kam, obwohl Pistolen im Spiel waren, mit heiler Haut davon. Das mit einem Sicherheitssystem ausgestattete Fahrzeug wurde wenig später komplett leer und reichlich lädiert in einer Favela geortet.
Dass Raubüberfälle dieser Art sogar vor Condomínios stattfinden, hat uns verblüfft. Diese bewachten Wohnanlagen, in denen viele Angehörige großer Unternehmen leben, ja häufig laut vertraglicher Regelung aus Sicherheitsgründen leben sollen, hatten wir bislang für risikofrei gehalten. In jedem Fall wurden wir in unsere Entscheidung gegen das wundervolle freistehende Haus, das wir anfangs gern bezogen hätten, bestätigt.
Von Raubüberfällen im Stau, insbesondere auf der Morumbi-Brücke, dagegen ist häufiger zu hören und zu lesen. Bereits im Vorfeld können Autoinsassen Maßnahmen treffen, die die Wahrscheinlichkeit, Ziel eines Überfalls zu werden, verringern können. Sind Laptops, schicke Aktenkoffer, prall gefüllte Handtaschen oder andere begehrliche Objekte jenseits des Sichtfelds sicher verstaut, gibt es zwar noch keine Garantie, aber den Versuch ist es wert.
Sollte es den Autoinsassen dennoch treffen, sollte der sich wie unser Urlauber verhalten, sich seinem Schicksal fügen und die geforderten Wertgegenstände übergeben.
Entführungen, Geiselnahmen und Erpressungen, so hörten wir, seien ein großes Thema. Seit 1990 seien 211 Deutsche weltweit entführt worden. Die Fallzahlen seien in letzter Zeit erheblich gestiegen und die Experten rechneten mit einer weiteren Zunahme. Fünf Jahre und 100 Tage sei ein Deutscher im kolumbianischen Dschungel festgehalten worden. Dies sei der Spitzenwert, so berichtete einer der Beamten aus Deutschland.
Am häufigsten seien Express-Entführungen, in deren Rahmen der Täter das Opfer auffordert, mit ihm zu einem Bankautomaten zu fahren, die abgehobene Summe einfordert und den kurzfristig Entführten dann ziehen lässt.
Die gefährlichsten Momente jeder Form der Entführung seien die Bemächtigung und die Freilassung, unabhängig davon, ob man von den Entführern gezielt ausgewählt sei, ein Zufalls- oder ein Gelegenheitsopfer sei.
Wichtig sei es, ein gesundes Sicherheits- und Gefahrenbewußtsein zu entwickeln, Schwachstellen im eigenen Umfeld zu erkennen, seine jeweilige Umgebung gefahrenbewußt zu beobachten und ein sicherheitsgerechtes Verhalten an den Tag zu legen. Risiken könne man minimieren, indem man selbstsicher, aufmerksam und interessiert durch die Welt ginge.
So banal dies klingt. Ich denke, da ist etwas dran, denn ich muss nicht unbedingt mit edelstem Schmuck durch Downtown spazieren, mit dem iPad an einer geschäftigen Straßenkreuzung stehen oder auf dem Weg ins Restaurant nochmals schnell auf den aufgefalteten Stadtplan schauen.
Ich fahre Bus, bewege mich, mit oder ohne Begleitung, frei in dieser Stadt. Nur zwei Mal, ganz am Anfang, habe ich mich im Ansatz unwohl oder unsicher gefühlt, denn die Großstädte, die mein Leben bislang geprägt haben, haben offenbar jenes Gefahrenbewußtsein trainiert und mir die notwendige Sicherheit beschert. Eine Portion Glück war sicher aber auch im Spiel.