Die ganz andere Weihnachtserfahrung

“Nesta quinta-feira, dia 27 de outubro de 2011, a cidade de São Paulo terá temperatura mínima de 15ºC e máxima de 27ºC. A probabilidade de chuva é de 5%. O sol nasce às 06h24 e se põe às 19h17. A previsão indica sol entre poucas nuvens.“

An diesem strahlenden Tag machte ich mich auf den Weg zur Ação Natalina 2011, der Weihnachtsaktion des Lar Social Girassol, eines großartigen Projekts für Kinder und Jugendliche. Während ich die Klimaanlage des Taxis genieße, erscheint mir ein Weihnachtsevent bei dieser Witterung ungefähr so naheliegend wie eine Bikinimodenschau bei Minusgraden.

 

Eine der Organisatorinnen dieses ersten Weihnachtsbasars der Saison hatte in ihren Garten geladen und präsentierte dort mit ihren Mitstreiterinnen allerlei Weihnachtliches. Das Highlight: Von den Kindern des Lar sorgfältig bemalte Holzweihnachtsbäume, weiß und grün, in drei Größen, mit goldenen Rändern, ausgesprochen geschmack- und sinnvoll, denn jedweder klassische Nadelbaum würde bei diesen Temperaturen keine drei Tage überleben. Ich erstand drei Weihnachtsbäume, die ich in die Weihnachtsdekoration, die wir aus Deutschland mitgebracht hatten, integrieren würde.

 

In den kommenden Wochen folgte ein Weihnachtsbasar auf den anderen. Die Escola Suíço-Brasileira de São Paulo, die Schweizerschule São Paulo, zog unmittelbar nach. Kurz darauf wurde zum Bazar Français eingeladen, der mit allerlei Kunsthandwerk und «spécialités bien françaises» warb. Am ersten Advent veranstaltete die Igreja da Paz, die evangelisch-lutherische Friedenskirche ihren traditionsreichen Basar, gefolgt von der Sociedade Filarmónica Lyra und dem Colégio Humboldt, der deutschen Schule, und vielen anderen.

 

Die Weihnachtsbasare seien fest in die Terminkalender der deutschsprachigen Community integriert, erfuhr ich, ebenso wie das legendäre Weihnachtskonzert des Clube Transatlântico, das traditionell am zweiten Advent stattfindet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte sich Weihnachtsstimmung eingestellt haben.

 

Um diese zu verbreiten, treiben auch die Paulistanos allerlei Aufwand. Die Shoppingcenter sind üppig dekoriert und lassen Erinnerungen an die USA wachwerden, denn hier wie dort steht all überall Santa Claus mit seinen eifrigen Gehilfen zum Fototermin bereit.

 

In der vergangenen Woche standen nun Weihnachtseinkäufe auf dem Programm – bei 26 Grad und strahlendem Sonnenschein, in Begleitung meiner Freundin Tereza. Ich hatte relativ klare Vorstellungen davon, womit ich meine Lieben beschenken wollte. Unter anderem wollte ich einen schönen, großformatigen Kalender für die gesamte Familie erstehen und zusätzlich einen für meine Schwester. Großformatige “Calendários” seien in Brasilien nicht gängig, erklärte Tereza. Die Brasilianer hätten ein anderes Verhältnis zu Terminen. In Buchhandlungen oder hochwertigen Papelerías würden vielleicht Kalender angeboten, dort sollten wir schauen. Ob es allerdings auch brasilianische oder nur importierte Kalender geben würde, vermochte Tereza nicht zu sagen. Eine Buchhandlung und zahlreiche Papelerías haben wir durchkämmt. Erfolglos.

 

Einige Tage später machte ich mich erneut auf, um das Sortiment weiterer ortsansässiger Buchhandlungen zu studieren. Wie nicht anders erwartet, war die Auswahl eher bescheiden. Die drei immer gleichen Kalender mit Brasilienmotiven und ein Kalender mit schönen Aufnahmen von Rio de Janeiro.

 

Leider auch keine Überraschung: Nur ein einziger klitzekleiner Tischkalender mit schlechten Fotos von São Paulo wird gehandelt. Que pena, wie schade, denn ich finde, dass diese großartige Stadt mit ihrer in Teilen höchst attraktiven Architektur und ihren zahlreichen Highlights hätte wahrlich einen verdient.

 

Als ich meinen vorwiegend deutschen Facebook-Freunden über meine Irritation, die Weihnachtseinkäufe bei annähernd 30 Grad auslösen, berichtete, erhielt ich interessante Antworten. Den ultimativen Tipp, wie sich auch bei höchsten Temperaturen Weihnachtsfreude einstellt, möchte ich nicht unerwähnt lassen. „Als wir 2006 zur Weihnachtszeit in Chiang Mai (Thailand) im Agape Home, einem Waisenhaus, waren und auch mehr als warme Temperaturen hatten, habe ich gemerkt, dass bei mir die Weihnachtstimmung durch Weihnachtsmusik hervorgerufen wird. Als ich „Stille Nacht“ hörte und die Atmosphäre des Waisenhauses auf mich einstürmte, war mir mehr als warm und weihnachtlich zumute. Unvergesslich schöne Momente für uns, zu sehen, wie wir durch die Übergabe von ein paar Spendeneuro Kinder erleben durften, die zu einer Weihnachtsfeier so viel Spaß, Freude und Rührung zeigten, wie ich dies bei Kindern in Deutschland noch nie gesehen habe. Eine Weihnachtsfeier in einem Waisenhaus ausrichten – wir würden es jederzeit wieder tun!“ Eine schöne Idee für die Zukunft.

 

In diesem Jahr geht es für uns ins kalte Deutschland, mit all dem, was Weihnachten für mich ausmacht – der Familie, einer Nordmanntanne mit echten Kerzen und dezentem Weihnachtsschmuck, der Mitternachtsmesse in der Bayreuther Schlosskirche, Lebkuchen von Leupoldt und Wildschweinbraten mit Klößen und Rotkohl.