Sie prägen das Bild der Megacity wie die traditionellen Black Cabs das Stadtbild Londons, stehen für das südamerikanische Finanz- und Wirtschaftszentrum wie die über 13.000 Yellow Cabs für New York City und die Taxis im Farbton RAL 1015, „Hellelfenbein“, für deutsche Städte – die Helikopter, die insbesondere im Berufsverkehr zahlreich durch die Lüfte schwirren.
„Helikopteropolis“ wird sie vielfach genannt, die Hauptstadt des Helikopterverkehrs, deren Flotte von rund 500 Helikoptern nur von der News Yorks übertroffen wird. 325 Hubschrauberlandeplätze zählt die Megacity, die mehr als 400 Flüge täglich und über 70.0000 Starts- und Landungen pro Jahr verzeichnet.
Ihre Präsenz ist wesentlich der Verkehrssituation geschuldet: Seit 1970 hat sich der Kraftfahrzeugbestand im Großraum São Paulo, in dem mehr als 19 Millionen Menschen auf einer Fläche von 1.530 Quadratkilometern leben, mehr als versiebenfacht.
Das Netz befestigter Straßen ist in diesem Zeitraum von 14.000 auf 17.000 Kilometer gewachsen. Staus von um die 200 Kilometern Länge sind keine Seltenheit. Das Durchschnittstempo in den Hauptverkehrszeiten am Abend hat sich in den vergangenen zehn Jahren um 32 Prozent von 25 auf nur 17 Kilometer pro Stunde verlangsamt, wie Jaime Waisman, Verkehrsexperte an der Universität São Paulo, brasilianischen Medien berichtete.
Immer mehr Unternehmer, Manager und Politiker weichen auf den Helikopter aus, nutzen die sogenannten Táxi Aéreo, die Vielfliegern bei einer Buchung eines Kontingents ab 20 Stunden maßgeschneiderte Pakete anbieten.
Doch längst sind es nicht nur Geschäftskunden, die die Megacity und deren Umgebung aus anderer Perspektive kennenlernen, am Tag und in der Nacht. Vom Helikopterflug zu einem Eco-Ressort an der Represa de Mairiporã, einem Stausee nahe der Serra da Cantareira, über das nächtliche Romantikpaket, beides mit entsprechendem Verwöhnprogramm, bis zum klassischen vôo panoramico, einem etwa 20 minütigen Helikopterflug mit Ausblick auf Highlights der Megacity, reicht das Angebot.
Ein vôo panoramico, ein Geschenk mit Erinnerungswert, zum ersten Geburtstag meines Mannes, den wir zusammen in São Paulo begehen würden – das perfekte Geschenk. Ich buchte bei Helimarte, einem angesehenen Unternehmen, seit dreizehn Jahren höchst erfolgreich, mit inzwischen 50 Mitarbeitern, sehr gespannt, was uns erwarten würde.
Wir starteten am Aeroporto de Campo de Marte in der Zona Norte, dem Flughafen mit der größten Helikopterflotte Brasiliens und mit über 123.000 Flugbewegungen an fünfter Position auf der Liste der verkehrsreichsten Flughäfen des Landes.
Aufgeregt waren wir ohnehin schon. Die (An-)Spannung wurde noch größer, als wir die klitzekleinen Helis im Hangar sahen, gegen die die Cessna, die uns in unserem Bahia-Urlaub zurück nach Salvador gebracht hatte, wie ein Airbus A380 anmutete.
Fliegen sollten wir mit einem Robinson 44 Raven II 2011, der mit seinen 680 Kilogramm, einer Rumpflänge von 8,94 Metern, einer Höhe von 3,27 Metern und einer Breite von nur 2,18 Metern als leichter, einmotoriger, viersitziger Mehrzweckhubschrauber gilt.
Mein Herz stockte, als ich Vitor Hugo Santiago, unseren Piloten, sah. Er sah so unglaublich jung aus. Dass er 24 Jahre alt und Pilot seit seinem 19. Lebensjahr ist, erfuhr ich viel später.
Großherzig bot mir mein Mann an, vorn neben dem Piloten zu sitzen. Scheinbar abgeklärt, stimmte ich, auch in Anbetracht der bis zu den Füßen reichenden Verglasung, zu.
Während wir die Headsets aufsetzten und auf die Startfreigabe warteten, verschwand die Aufregung. Auch während der unspektakulären Startphase, in der der Heli einfach nach oben schwebt, war ich vergleichsweise gelassen.
Dies änderte sich schlagartig, als wir nach kurzer Flugzeit den Marginal Tietê, eine mindestens achtspurige Autobahn, überflogen, und ich den Fehler beging, gerade nach unten zu sehen, während sich der Heli spürbar im Wind wiegte. Ob Turbulenzen bei transatlantischen Flügen, Achterbahn- oder Fährfahrten bei bewegter See: Das macht mir gar nichts. Im Gegenteil. Doch in unserem kleinen Spielzeug-Heli stellten sich die Dinge ganz anders dar.
Glücklicherweise bleib nicht viel Zeit zur Reflexion, denn wir erlebten Highlights im Sekundentakt: Wir sahen die prächtige Estação da Luz, die Pinacoteca do Estado, den Mercado Municipal, die mächtige Catedral da Sé, flogen am Edifício Altino Arantes (Banespão), meinem Lieblingsgebäude, vorbei und konnten das imposante Teatro Municipal von oben bewundern.
Mir verschlug es den Atem, als der Pilot vor dem Edifício Itália plötzlich in der Luft stoppte. Seelenruhig erklärte er, dass man aus dieser Perspektive den Kellnern beim Eindecken der Tische zusehen könnte und verwies, immer noch freischwebend, auf das vom berühmten brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer konzipierte Edifício Copan.
Ich entspannte, als wir das Estádio do Pacaembu überflogen und aus der Ferne den Parque do Ibirapuera und den Aeroporto de Congonhas erblickten- auch als wir das Museu do Ipiranga zum Abschluss passierten.
Als wir aber die Häuserschlucht der berühmten Avenida Paulista durchquerten, stockte mein Herz einmal mehr. Zahllose Autos, Menschen, die zur Lunch-Hour die Bürgersteige der ungeheuer breiten Straße bevölkerten, waren plötzlich ganz nah. Adrenalin pur!
Und doch würde ich es wieder wagen. Die scheinbar endlose Megacity aus anderer Perspektive zu erleben, hat sich gelohnt.