Mit seinem Barcelona Chair hat Ludwig Mies van der Rohe Designgeschichte geschrieben. Experten bezeichnen das Sitzmöbel gar als „Meilenstein in der Geschichte des modernen Designs“.
Da der in Aachen geborene Architekt, der Mitte 1928 mit der künstlerischen Leitung der deutschen Abteilung Weltausstellung 1929 in Barcelona beauftragt worden war, davon überzeugt war, dass es keine Harmonie im Inneren eines Gebäude gäbe, wenn sich nicht das Design der Möbel und die Struktur des Bauwerks ergänzten, ergab es sich fast zwangsläufig, dass er das Mobiliar für seine Gebäude gleich mit entwarf.
So kreierte van der Rohe, dessen Geburtsname Maria Ludwig Michael Mies lautete, auch die Sitzmöbel für seinen weltberühmten Pavillon in Barcelona, die dem spanischen Königspaar als Sitzgelegenheit anlässlich der feierlichen Eröffnung dienen sollten, und benannte sie folgerichtig nach der Stadt, für die er sie geschaffen hatte.
Zu Klassikern entwickelten sich auch verschiedene Besteckmodelle der Württembergischen Metallwarenfabrik, kurz WMF. Die Besteckserien „Stockholm“ und „New York“, in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vom langjährigen Atelierleiter Kurt Mayer entworfen, begleiten mich seit frühster Kindheit.
Im Unterschied zum Barcelona Chair fragt man sich allerdings, wie das in einer malerisch-ländlichen Region entworfene Essbesteck zu seinem Namen kommt.
Das Geschichtsbüro Reder, Roeseling & Prüfer findet in der WMF-Geburtstagsveröffentlichung (150 Jahre Württembergische Metallwarenfabrik WMF (1853–2003), Geislingen/Steige) eine interessante Erklärung: „So entwickelte sich bereits in den 1950er Jahren in Deutschland ein neues Verhältnis zu Design und Gestaltung. In allen Bereichen – in der Architektur, in der Mode, im Kunsthandwerk und im Alltagsdesign - wollten die Deutschen jetzt an die modernen Entwicklungen vor allem in den USA und Westeuropa anschließen und versuchten zugleich, ihren eigenen Stil zu entwickeln.“ Naheliegend also, den Produkten über weltweite Städtenamen Internationalität einzuhauchen.
Offenbar liegen Städtenamen für Produkte auch heute noch im Trend. Als ich kürzlich nach aktuellen Trends in und aus São Paulo recherchierte, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Unmittelbar stieß ich darauf, dass Gardisette, „die Markengardine seit 1952“, mit dem Dekostoff SAO PAULO Urlaubsstimmung für zuhause anbietet.
Unter der Rubrik „Chic & Apart“ wird auf unnachahmliche Weise dafür geworben: „Exotisch, üppig, sinnlich – hier kann man sich bestens vom wilden Treiben im Großstadtdschungel erholen und dem Abenteuer Alltag entfliehen. Warum also in die Ferne schweifen?“
Allein diese Zeilen ließen mich herzhaft lachen. Was sich die Marketingstrategen aus dem ostwestfälischen Bielefeld wohl dabei gedacht haben? Warum auch die mühsame Flugreise auf sich nehmen, wenn sich gestresste Bielefelder, Frankfurter oder Münchner von ihrem ach so hektischen Alltag mit der in gedeckten Farben gehaltenen Gardine das exotische, üppige, sinnliche São Paulo ins Haus holen können.
Die können nur Morro de São Paulo (Bahia) gemeint haben, erklärte eine Freundin, als ich sie über die erstaunlichen Ergebnissen meiner Trendrecherche ins Bild setzte. Ich berichtete weiter, bis es auch ihr die Sprache verschlug. Selbst im Winter könne man ganz einfach südamerikanische Lebensfreude herbeizaubern. „Mit zehn Farbkombinationen lässt SAO PAULO keine Wünsche mehr offen“. Auch füge sich die internationale Gardine in jedes Einrichtungskonzept ein: „Mit seinem eingewebten, plastisch wirkenden Bananenblattmuster passt SAO PAULO besonders gut zu einem modernen Wohnstil. Super auch in Kombination mit dem modischen 50er-Jahre Retro-Look.“ Scheinbar ein “must-have”, denn von welchem Accessoire kann man schon behaupten, dass es wirklich überall hineinpasst.
Meine Neugierde war geweckt. Würde es weitere Produkte geben, die nach der Megacity benannt sind?
Jean Cliclac ist der Schöpfer von „Sao Paulo“, das als Leinwandbild, Wandbild oder Fototapete angeboten wird, in einer Preisspanne von 29,70 bis 118,95 Euro. Der Bezug zu São Paulo erschließt sich nicht unmittelbar – mir zumindest nicht, denn abgebildet sind eine Ampel mit der in São Paulo unbekannten Fahrradfahrerampel und einem Durchfahrt-verboten-Schild, davor der Schattenriss eines spielenden Mädchens mit Hula-Hoop-Reifen und Fußball, dahinter ein schleichender Panther, eine fliegende Blume und ein ebenfalls fliegender Koffer. Wenn denn etwas eine São Paulo-Assoziation hervorrufen könnte, dann vielleicht der Betonhintergrund.
Etwas mehr Sinn macht die Serie „Sao Paulo“ des Hauses Eglo, eines international erfolgreichen Leuchtenherstellers aus Österreich, der damit eine „Reihe von hochwertigen Außenlampen“ bewirbt. Hier ließe sich zumindest annehmen, dass die Namensgeber den potentiellen Kunden das Gefühl geben möchten, dass eine Außenlampe, die in São Paulo Sicherheit herstellen kann, dies in Deutschland dreimal vermag.