Kürzlich waren wir zum zweiten Mal bei der Polícia Federal, der Bundespolizei, dieses Mal, um unsere Permanência, die Daueraufenthaltsgenehmigung, in unsere Pässe gestempelt zu bekommen.
Gleichzeitig musste unsere Cédula de Identidade de Estrangeiro, eine Art Personalausweis für Ausländer, der die sogenannte RNE (Registro Nacional de Estrangeiros), eine mehrstellige Registrierungsnummer, enthält, neu beantragt werden, denn in unserem aktuelle Dokument war noch die Classificação Temporario eingedruckt.
Bereits gegen 7.30 Uhr schlängelten sich um die 200 Wartende um das Gebäude im Bezirk Lapa, im Westen der Megacity. Vor uns vielleicht 40 junge Amerikaner, die durch ihr uniformes Outfit mit schwarzem Namensschild und ihre fast militärischen Frisuren auf den ersten Blick als Mormonen zu erkennen waren.
Als die Behörde um Schlag 8.00 Uhr ihre Türen öffnete, forderte ein mit schusssicherer Weste ausgestatteter Wachmann diejenigen, die sich in einer brasilianischen Passangelegenheit eingefunden hatten, dazu auf, vorzutreten, woraufhin sich die Schlange allerdings nur unmerklich lichtete.
Die jungen Missionare, die in der Regel zwischen ihrem 19. und 30. Lebensjahr ausgesandt werden, um ihren Glauben in die Welt zu tragen, bildeten kleine Grüppchen, während die übrigen Wartenden der Reihe nach die Metalldetektoren durchquerten und sich am Empfang auswiesen. Ein engagierter Mann, der sich optisch lediglich durch die fehlende Krawatte von seinen Schützlingen abhob, nahm die Angelegenheit für die Mormonen, in Deutschland als Sekte klassifiziert, in die Hand.
Uns erwarteten Sr. Diogens und Sr. Denys, zwei Mitarbeiter von EMDOC, einem Dienstleister, der darauf spezialisiert ist, nicht-brasilianische Mitarbeiter von multinationalen oder in Brasilien ansässigen Unternehmen in bürokratischen Angelegenheiten zu unterstützen.
Im Vorfeld hatten wir eine E-Mail mit allen wesentlichen Informationen zum bevorstehenden Behördentermin erhalten. Auch die beiden Senhores, die uns zur Seite stehen würden, wurden uns in Wort und Bild vorgestellt. Für alle Fälle erhielten wir auch die Telefonnummern der Herren, unsere Despachantes.
Insgesamt 170 Mitarbeiter zählt EMDOC, unser Beratungsunternehmen mit eigener Rechtsabteilung, das Gros davon Despachantes, die damit beauftragt sind, für ihre Klienten Lösungen im Behördendschungel zu erzielen, denn “despachar” bedeutet so viel wie „lösen, klären, regeln“.
Der Berufsstand des Despachante ist in Brasilien, einem Land, das sich durch eine überbordende Bürokratie, die international in Teilen als desorganisiert beschrieben wird, weit verbreitet. Die professionellen Behördengänger kennen die Beamtinnen und Beamten vor Ort, wissen, worauf es bei den jeweiligen Anträgen ankommt, wie sie dem Klienten Zeit sparen und dessen Nerven schonen können.
Kaum hatten wir die aktuellen Formulare unterzeichnet, wurden wir gebeten, Platz zu nehmen. Nur wenigen Minuten später wurde mein Mann, der Hauptvisums-Inhaber, von Sr. Diogens in den Eingangsbereich des „Kundenzentrums“ geführt, um unseren Antrag persönlich abzugeben. Dieser eigentliche Verwaltungsakt war unkompliziert und nahm nur wenigen Minuten in Anspruch.
Wir mögen uns nun ein wenig gedulden, erklärte unser charmanter Despachante, bis wir aufgerufen würden, unsere Fingerabdrücke abzugeben. Auf eine längere Wartezeit waren wir gefasst, denn in der vorbereiteten E-Mail war der Termin auf vier bis fünf Stunden anberaumt gewesen.
Während wir der Dinge harrten, die da kommen würden, konnten wir beobachten, wie ein Mormone nach dem anderen durch den Prozess geschleust wurde. Die Wartezeit vertrieben sich die jungen Männer selbst in der Behörde damit, das Buch Mormon an den Mann und an die Frau zu bringen. Eine kleine Gruppe scharte sich um eine ältere Asiatin, die nach einer Weile tatsächlich ein Exemplar annahm und die Stimmung der gut gelaunten Missionare weiter hob.
Die jungen Männer saßen links und rechts von uns. Wir waren geradezu eingekeilt, und ich rechnete jeden Moment damit, von einem von ihnen angesprochen zu werden. Als der Sitz neben mir frei wurde, nahm ein älterer Mann aus Venezuela Platz. Elder Sanchez, ein südamerikanischer Mormone, der mich länger beobachtet hatte, verlegte seinen Fokus nun auf den Venezolaner, der, dessen gewahr, unruhig auf seinem Platz hin- und her rutschte. Schnell ergriff Elder Sanchez seine Chance und sprach meinen Sitznachbarn an. Minuten später war der ältere Mann aufgestanden, der es wohl vorzog, unbehelligt – wenn auch stehend – weiter zu warten.
Immer mehr Menschen trafen ein. Und mit ihnen immer mehr Despachantes, die wie eine eigeschworene Gemeinschaft wirken. Sie kennen einander, unterstützen sich gegenseitig. Die weiblichen Repräsentanten der Zunft werden mit einem freundschaftlichen Kuss begrüßt, die Männer klopfen sich kumpelhaft auf die Schulter.
In regelmäßigen Abständen trat einer von ihnen an den ungefähr 1,50 Meter hohen Paravent, der den Service- vom Wartebereich abtrennt, um einem Mitarbeiter der Behörde, den Fall eines neuen Klienten zu präsentieren, was stets den Anschein erweckte, als stünden sich alte Freunde gegenüber.
Auch die Senhores Bruno und Ronaldo, die mich bei meinem ersten Besuch begleitet hatten, waren wieder vor Ort. Während wir einander kurz per Blickkontakt begrüßten, stellte uns Sr. Diogens seinen Kollegen Sr. Denys vor, der für uns an der Identificação, dem Bereich, in dem wir unsere Fingerabdrücke abgeben würden, wartete.
Und schon war es soweit. Nachdem diese Prozedur erledigt war, erfuhren wir von Sr. Denys, dass wir zeitnah gehen könnten. Die übrigen Prozesse würden Sr. Diogens und er für uns erledigen.
Drei Stunden nach Öffnung der Behörde saßen wir wieder im Auto, dank unserer höchst effizienten Despachantes.