Kochen (2): Aus dem Dornröschenschlaf erweckt

Wer sonntags den kulinarischen Konventionen der Paulistanos, die gegen 14.00 Uhr die Restaurants der Megacity stürmen, nicht folgt, sollte an diesem Tag keine allzu hohen Ansprüche an das Abendessen stellen. Burger, Pommes, Sandwiches oder andere schnelle Speisen – ob im Shopping, in Fastfood-Läden oder in der Padaria an der Ecke, die neben Brot und Waren des täglichen Gebrauchs auch reich- und vor allem fetthaltige Speisen anbietet – stehen zur Auswahl, denn das Angebot an Restaurants, die sonntagsabends ihre Türen öffnen, ist übersichtlich. Genauso wie die Anzahl der Gäste, die den frühen Abend im Restaurant zubringen. Wer will dort schon allein, beobachtet von fünf gelangweilten Kellnern, speisen.

„Nicht schon wieder Burger! Heute Abend koche ich“, erklärte mein Mann eines Sonntags entschlossen, nachdem wir entgegen der Gepflogenheiten mittags eben nicht gegessen hatten. Ich war begeistert, denn auch mir stand nicht der Sinn danach, vor allem, da sich unser ausgiebiger Fastfood-Konsum immer deutlicher auf der Waage manifestierte. Ein weiterer Pluspunkt: Unser Herd würde endlich aus seinem Dornröschenschlaf erweckt.

 

Im Supermarkt unseres Vertrauens betrachteten wir sodann Lebensmittel, die wir zuvor nie eines Blickes gewürdigt hatten. Zielstrebig steuerte mein Mann auf das Fischregal zu und prüfte das Sortiment. „Hier gibt es wirklich großartigen Fisch“, erklärte er begeistert und entschied sich für Saint Peter’s Fisch, der in Brasilien auch als Tilápia Saint Peter bekannt ist und zu den Buntbarschen zählt.

 

Sogleich wollte mein Mann zur Tat schreiten. Ich sollte mit der Vorbereitung des Salats beginnen. Wie ich das Dressing zubereiten könnte, würde er mir zeigen, bevor er mit dem Fisch anfinge. Kaum hatte ich allerdings das Messer in die Hand genommen, schritt der erfahrene Koch ein. „Du drückst ja! Das ist ein Messer, mit dessen Klinge man schneidet“, erklärte er erschüttert, woraufhin ich meine Technik modifizierte und mich wieder meinen Aufgaben zuwandte.

 

Ich war angetan von der Performance meines Mannes, der mich in Sachen Dressing routiniert instruierte, den Fisch würzte und briet, als hätte er nie etwas anderes getan, mit erstaunlichem Ergebnis: Der Fisch war perfekt – außen leicht kross und innen ganz zart. „Wir sollten immer kochen!“, sagte mein Mann schließlich, nicht ohne Stolz. Immer? So kurzweilig und genussvoll Kochen und Essen gewesen waren - soweit würde es hoffentlich nicht kommen, dachte ich still, denn eine Küchenfee wollte und würde ich wohl nie werden.

 

Ende Januar luden wir, nachdem wir den Fisch mit verschiedensten Beilagen viele Male zubereitet hatten, erstmals einen externen Testesser ein. Nachdem auch der offensichtlich begeistert war, kam mein Mann auf die kühne Idee, einmal mehrere Gäste einzuladen. Dieses Vorhaben diskutierten wir fortan während unserer sonntäglichen Fischessen immer wieder, allerdings ohne Nägel mit Köpfen zu machen.

 

Anfang Mai wurde das Thema Essenseinladung konkreter. Wir waren von wahren Meisterköchen zu einem „lockeren Abendessen“ eingeladen. Locker war es gewesen. Doch es war weit mehr als nur ein Abendessen. Es war ein kulinarisches Erlebnis der Extraklasse! In absehbarer Zeit müssten wir eine Gegeneinladung aussprechen.

 

Ende Juli nahmen wir schließlich die Herausforderung an. Nachdem wir unterschiedliche Menüoptionen diskutiert und wieder verworfen hatten, waren wir zu einem Ergebnis gekommen. Wir wollten auf Bewährtes setzen. Ich sollte die Kartoffel-Möhren-Suppe alla Tereza zubereiten und mein Mann würde „seinen“ Fisch mit einer bunten Gemüsepfanne servieren. Den Nachtisch, erklärte mein Mann, sollen wir lieber kaufen, denn mit der Herstellung süßer Köstlichkeiten habe er keine Erfahrung.

 

Bevor ich mich der Suppe zuwandte, rief ich Tereza an, denn ohne schriftliches Rezept wollte ich nicht mit der Zubereitung beginnen. „Sollen wir unser Essen selbst mitbringen?“, fragte deren Mann, als er das Gespräch entgegennahm launig. „Nein, soweit ist es glücklicherweise noch nicht“, erklärte ich daraufhin zuversichtlich. Wenn mir Tereza einige Fragen beantworten würde, wäre mit einem genießbaren Abendessen zu rechnen.

 

In der Theorie hatte alles ganz leicht geklungen, doch die Realität stellte sich ganz anders dar. Auf halber Strecke war ich der Verzweiflung nahe, denn die vermeintlich einfache Suppe war einmal mehr misslungen. Diese geschmacksneutrale, gelbliche Flüssigkeit im Topf vor mir, erklärte ich meinen Mann, könnten wir unseren Gästen in keinem Fall anbieten. So schlimm sei es nicht, beruhigte der mich und versuchte, der warmen Vorspeise Leben einzuhauchen, bevor er mit den Vorbereitungen für die Gemüsepfanne begann.

 

Derweil tröstete ich mich damit, dass der Tisch großartig aussah und war zuversichtlich, dass immerhin Hauptgericht und Nachspeise punkten würden.

 

So fad „meine“ Suppe trotz des beherzten Eingreifens meines Mannes geblieben war, so feurig war „seine“ Gemüsepfanne, die allerdings durch die ausgefallenen Zutaten und die daraus resultierende farbliche Vielfalt überzeugte.

 

Dass Übung den Meister macht, zeigte der Fisch, denn der war auch an diesem Abend gelungen. Wie schön, denn der Nachtisch, eine imposante Torta de Limão, eine Zitronentorte, war schier unerträglich süß, süßer, als alles, was wir zuvor in Brasilien gegessen hatten. Und das will etwas heißen, denn im Land des Zuckerhuts wird viel und reichlich von diesem Rohstoff Gebrauch gemacht.

 

Was ich denn davon hielte, wenn ich an meinem Geburtstag unter Anleitung mein eigenes Geburtstagsmenü zubereiten würde, erkundigte sich die Meisterköchin, als sie sich telefonisch für die Essenseinladung und den schönen Abend bedankte. Wir würden einfache Gerichte auswählen, die ich zuhause jederzeit reproduzieren könnte, führte sie aus. Tereza, die ich an meinem Geburtstag sicher nicht missen möchte, sei selbstverständlich auch herzlich willkommen. Bei Interesse könnten wir uns auch regelmäßig zum Kochkurs treffen und so ein Repertoire an Gerichten einstudieren.

 

Gesagt, getan: An meinem 45. Geburtstag kochte ich mein erstes vollständiges Menü – unter den strengen Augen der Meisterköchin, nahezu ohne Unterstützung. Und es gelang, mit Ausnahme der Suppe, die offensichtlich nicht mein Gericht zu sein scheint.

 

Zwei Tage später, an einem Sonntag, sollte mein Mann in den Genuss meines Hauptgerichts kommen. Die Frikadellen waren mir großartig gelungen. Nur das Purê de Mandioquinha, eine Art Kartoffelpüree, ging, trotz perfekter Konsistenz, geschmacklich völlig daneben, da ich nicht etwa Mandioquinha, sondern die zum Verwechseln ähnlichen weißen Süßkartoffeln gekauft hatte.