Bestens beschirmt in die Regenzeit

Granizo, Hagel, trommelte gegen die Fensterscheiben, als ich mich an einen Artikel erinnerte, den ich kurz zuvor gelesen hatte. In einer Reportage über Berufe, die vom Aussterben bedroht sind, hatte das Wochenmagazin Veja unter anderem über einen Guarda-Chuveiro, einen Schirmmacher, berichtet.

Rein statistisch gesehen regnet es in der südlichen Hemisphäre von Oktober bis März an 76 Tagen. In diesem Zeitraum ist der Regenschirm unverzichtbar. Als ich im Februar 2011 in der Megacity eintraf, gehörte er zu meinen ersten Anschaffungen, denn es regnete eigentlich täglich – meist kurz, aber dafür umso heftiger. Der gerade erst erstandene Regenschirm befand sich in diesen Tagen mehr oder weniger im Dauereinsatz. Schnell raffte es den schlecht verarbeiteten Regenschutz dahin und ich kaufte den nächsten Schirm, den ich, nachdem die Sonne nach einem kurzen Regenguss beim Verlassen eines Restaurants wieder strahlte, dort vergessen hatte. Regenschirm Nummer drei war schnell gekauft.

 

Meinem Mann erging es nicht anders. Auch seine Regenschirme waren entweder unter der Last ihrer Aufgaben zusammengebrochen oder hatten inzwischen neue Besitzer gefunden. „Kannst Du versuchen, mal einen anständigen Regenschirm zu finden“, bat er eines Tages, als er einmal mehr Ersatz benötigte. „Diese Billigschirme taugen nichts und sehen noch dazu furchtbar aus“, erklärte mein mode- und qualitätsbewusster Ehemann.

 

Wo ich denn hochwertige Schirme finden könnte, fragte ich meine Freundin Tereza, eine gut informierte Paulistana. Regenschirme in der Qualität, die ich aus Deutschland kennen würde, gäbe es ihres Wissens nach hier nicht. „Wir kaufen unsere Schirme immer in Deutschland“, erklärte die Ehefrau eines vor vielen Jahren eingewanderten Deutschen.

 

Sicher ist sicher: Ich konsultierte auch Heloisa, meine Sprachlehrerin, bei der ich mit meiner Frage anscheinend einen unsichtbaren Knopf gedrückt hatte. Ob Schirme, Schuhe, Taschen: Heute dominierten chinesische Billigprodukte den Markt. Immer seltener sei der Hinweis “feito oder fabricado no Brasil”, in Brasilien hergestellt, zu lesen, stellte die Professora traurig fest.

 

Fast genau 21 Monate nach meiner Ankunft in Brasilien hatte ich ihn doch gefunden, den handgefertigten Regenschirm, “feito no Brasil” von Aldo Grecco, Schirmmacher seit seinem 15. Lebensjahr, einem der letzten seiner Art.

 

Der heute 75 Jahre alte Grecco hatte das Handwerk von seinem Vater, einem italienischen Einwanderer, erlernt. Der war nach seiner Ankunft in São Paulo in den Bezirk Bixiga, eine traditionell italienische Nachbarschaft, gezogen und hatte dort eine Schirmmacher-Manufaktur aufgebaut, die Grecco, der in der fünften Generation Schirmmacher ist, 1972 schloss, um sein eigenes Unternehmen in Itaim Bibi zu eröffnen.

 

Allein der Klang des Wortes China, das die heimische Industrie aufgrund dieser importierten Modelle zum Preis von R$ 5,00 zum Erliegen gebracht habe, verursache bei dem Mann, der sein Angebot in den vergangenen zehn Jahren deutlich diversifiziert habe, um weiter bestehen zu können, Unbehagen, hatte Veja berichtet.

 

Ich wollte ihn kennen lernen, den Mann, der laut dem Wochenmagazin bei heutigen Produkten Eleganz und Charme vermisse und sich wehmütig an die Zeiten erinnere, als die Dame noch fünf oder sechs verschiedene handgearbeitete Schirme besessen hätten, farblich passend zur jeweiligen Kleidung.

 

Auf den Guarda-Chuveiro selbst traf ich nicht, als ich das schmale Ladengeschäft in der Rua Tabapuã 756 in Itaim Bibi betrat, sondern auf eine zurückhaltende Frau, die mir, nachdem ich mich ihr erklärt hatte, bereitwillig ihr Sortiment präsentierte. Es war eine Freude, die leichtgängigen Schirme im klassischen Design zu öffnen. Haptisch durchaus vergleichbar mit der Nutzung eines hochwertigen Schreibgeräts oder eines edlen Chronografen.

 

Ich testete einen Schirm mit Holzstock- und griff und einen mit Metallstock und Holzgriff, der zu meiner Überraschung kostenintensiver war, als das Modell mit höherem Holzanteil. Der Unterschied begründe sich durch die Anzahl der Paragonstangen, der Metallstreben, die den Schirm stützen, so erfuhr ich. Der Schirm mit 10 Paragonstangen würde R$ 130, der mit acht R$ 120 kosten. In beiden Fällen handele es sich um Schirme des Unternehmens Fazzoletti, das seit 1993 in Porto Alegre ansässig sei. Eigenkreationen des Schirmmachers, so hatte Veja bereits berichtet, liegen bei R$ 300. Möchte ein Kunde seinen Lieblingsschirm mit einer neuen cobertagem, einem neuen Oberstoff, versehen, beginnt diese handwerkliche Arbeit bei R$ 100.

 

Internationale Kunden wüssten die Qualität ihrer Schirme zu schätzen, erklärte die introvertierte Frau, bei der es sich um Rosa, die Ehefrau des Guarda-Chuveiros handelte, schließlich bescheiden. Gern könne ich einige Visitenkarten mitnehmen, bot sie auf Nachfrage an. Einige Deutsche gehörten bereits zu ihren Kunden.

 

Dann die Überraschung: Wie es mir denn in Brasilien gefalle, fragte Rosa, die bis dahin eher unzugänglich gewirkt hatte und sich immer wieder auf den Veja-Artikel bezogen hatte, der alle wesentlichen Informationen zum Geschäft enthielte. Höflich sind sie, die Brasilianer, schoss es mir in den Kopf. Da scheint Rosa keine Ausnahme zu sein. Doch bereits während ich antwortete, blitzte echtes Interesse auf. Alle Reserviertheit schien von ihr abzufallen und ich erlebte eine ausgesprochen empathische und warmherzige Frau, mit der ich lange über das Leben philosophierte.

 

“Nós Nacemos para Fazer Guarda-Chuvas” – frei übersetzt – „Wir sind dazu berufen, Regenschirme herzustellen“, lautet einer der Claims des Traditionshauses. Von Rosa hatte ich nicht wesentlich mehr erfahren, als ich bereits über das Unternehmen wusste. Gleichzeitig hatte ich viel über das Leben gehört, was der Besuch einer Schirmmacherei eher nicht erwarten lässt. Fasziniert von Rosas verborgener Berufung, der Vermittlung ihrer Lebenserfahrung, verließ ich das Geschäft, das seit 40 Jahren ein Teil von Itaim Bibi ist, und trat in die gleißende Sonne, die Grecco mit seinem erweiterten Sortiment dazu befähigt, noch heute Regenschirme zu fertigen.