Ein Geschenk für Brenda: “Campanha Papai Noel dos Correios”

Jedes Jahr zu Weihnachten können Kinder weltweit ihre Weihnachtswünsche per Post auf den Weg bringen. In Finnland nimmt die beispielsweise Santa’s Main Post Office in Napapiiri am Polarkreis entgegen. Russische Kinder können sich mit ihren Anliegen vertrauensvoll an Väterchen Frost in Weliki Ustjug, im äußersten Nordosten der Oblast Wologda, wenden.

In Deutschland haben Kinder gar die Wahl: Sie können ihre Wünsche an den Nikolaus in 49681 Nikolausdorf oder 66351 St. Nikolaus schicken, sie an den Weihnachtsmann in 16798 Himmelpfort, 21709 Himmelpforten oder 31137 Himmelsthür richten oder sie gleich an das Christkind adressieren, das ihre Briefe in 97267 Himmelstadt und 51777 Engelskirchen gegen Rückporto beantwortet.

 

Die Einsendung von Postwertzeichen ist in Brasilien nicht erforderlich. Hier können Kinder ihre Wunschzettel einfach in den Agências de Correios (AC), den Postämtern, abgeben. Anders als in Deutschland können sich Kinder aus sozial schwachen Familien, wenn ihr Wunschzettel einen Paten findet, sogar über ein Weihnachtsgeschenk freuen.

 

Über meine Freundin Tereza hatte ich schon 2011, in meinem ersten Jahr, von der “Campanha Papai Noel dos Correios”, der Weihnachtsmann-Kampagne der Post, erfahren. Sie hatte mir von einigen rührenden Briefen berichtet, die sie in den vergangenen Jahren gelesen und als Geschenk-Patin adoptiert hatte. Wenn ich etwas mehr Portugiesisch spräche, würde mir die Kampagne sicher viel Freude bereiten, hatte sie erklärt.

 

In den vergangenen Tagen nun kamen mir Terezas Worte wieder in den Sinn und ich machte mich an die Recherche. Die diesjährige Kampagne, so entnahm ich der Website der Correios, hatte bereits am 14. November begonnen und würde am 14. Dezember enden. Wollte ich teilnehmen, war Eile geboten.

 

Ganz in meiner Nähe fand ich diverse Agências de Correios, bei denen ich die Wunschzettel der Kinder lesen könnte. Ich entschied mich für die AC SHOPPING CENTER IBIRAPUERA, denn dort würde ich praktischerweise sofort das Wunschgeschenk kaufen können.

 

Als ich das Postamt betrat, wies auf den ersten Blick nichts auf die Weihnachts-Aktion hin. Ich sah mich um und entdeckte schließlich ein eher unscheinbares DIN-A4-Plakat mit Informationen zur Dauer der Kampagne, was mir nicht wirklich weiterhalf. Also zog ich eine senha, eine Wartemarke, um am Schalter mehr über die Teilnahme zu erfahren.

 

Die Postmitarbeiterin strahlte, als ich sie über mein Anliegen informierte, und wies auf eine Dame im Wartebereich, die gerade dabei war, die Briefe der Kinder zu lesen. Ich solle mich einfach dazusetzen und mir von der Dame die Briefe, die sie bereits gelesen hatte, geben lassen. Gesagt, getan.

 

Ich war berührt von dem, was ich las, denn die Kinder berichteten offenherzig über ihr Leben, ihre Familiensituation, ihre großen und kleinen Träume und Wünsche. Nicht immer war die Kinderschrift leicht zu entziffern. Auch fehlte mir die ein- oder andere Vokabel, so auch in dem Brief, der mich am meisten bewegt.

 

Brenda, sechs Jahre alt, berichtete Papai Noel, dem Weihnachtsmann, dass sie mit ihrer Mutter und ihren drei Geschwistern lebe. Sie sei in der 1ª série, was, wie ich später erfuhr, bedeutete, dass sie die erste Klasse besucht. Ihr Vater, so schrieb sie, sei in Bahia, im Nordosten Brasiliens. Er sei mit einer anderen Frau weggegangen. Mit ihrer Mutter, so berichtete das kleine Mädchen weiter, verkaufe sie (für den Lebensunterhalt) Kuchen auf dem Wochenmarkt. Sie freue sich sehr auf Weihnachten und brenne darauf, ihm, dem Weihnachtsmann, von ihren Träumen zu schreiben, denn sie wünsche sich sehnlichst “Patins da Barbie”. All ihre Freundinnen hätten die – nur sie nicht. Auch würde sie sich über eine “Roupa da Barbie” freuen. Die Nummer sei 6 (oder hieß das 8) für Kleidung und 30 oder 31 für Schuhe.

 

Brenda wünschte sich also irgendetwas aus der Barbie-Welt. Das sollte zu machen sein. Was genau sie sich wünschte, würde ich sicher im Spielzeuggeschäft erfahren, das ich, nachdem ich mich als Patin für Brendas Brief hatte registrieren lassen, mit dem Brief bewaffnet, aufsuchte.

 

“Patins da Barbie não tem”, erklärte die Verkäuferin abschlägig. Was das denn sei, fragte ich die junge Frau, die mir dies sogleich wortreich zu erklären versuchte. Als sie allerdings realisierte, dass ich ihr nicht folgen konnte, zeigte sie auf einen Roller, ein Patinete, das sei etwas Ähnliches. Ob ich denn Patins, was auch immer dies genau sei, bis morgen bestellen könnte, wollte ich wissen. Das ginge so schnell leider nicht, erklärte sie, doch man habe viele Barbie-Artikel, die sie mir gern zeigen könnte.

 

Wir tauchten also ein in die Barbie-Welt, die mir fremd ist. Nur nicht über das Frauenbild, das die Marke kommuniziert, nachdenken, ging es mir durch den Kopf. Es galt, eine eilige Mission zu erfüllen.

 

Ich war begeistert, als ich nach einiger Zeit tatsächlich eine vollständig bekleidete Barbie-Mutter sah, die mit ihrem Kind in der Barbie-Küche Kuchen zubereitet – ganz wie Brenda dies vermutlich mit ihrer Mutter tut. Ich kaufte das deutlich reduzierte Ensemble und verließ das Geschäft. Vielleicht hätte ich ein Wörterbuch mitnehmen sollen, zumal mir das Vokabular von Kindern, unabhängig von der jeweiligen Sprache, nicht wirklich geläufig ist.

 

Vor der Tür traf ich die Frau, mit der ich im Postamt die Briefe der Kinder gelesen hatte. Wie gut, denn sie könnte mir vielleicht die Vokabel Patins umschreiben. Die sympathische Frau lächelte, deutete auf ihre Schuhe und machte eine sportive Bewegung. Roller – Schuhe – Rollschuhe wünschte sich Brenda also. Darauf wäre ich nie gekommen.

 

Nachdem mir die Spielzeugverkäuferin zuvor erklärt hatte, dass sich Brenda außerdem mitnichten Kleidung für eine Barbie, sondern für sich selbst gewünscht hätte, machte ich mich auf zu Lojas Americanas, einem mit Woolworth vergleichbaren Kaufhaus.

Ich durchforstete das Sortiment, ohne Erfolg, und fragte schließlich eine Verkäuferin, die mir mitteilte, dass das Geschäft keine Barbie-Kleidung führe. Während ich ratlos da stand, sprach mich eine nette, mütterlich wirkende Frau an, die mir erklärte, dass C & A eine große Auswahl an Barbie-Kleidung hätte. Mütter wissen eben Bescheid.

 

Im Herausgehen traf ich erneut auf meine Postbekanntschaft, die ein imposantes Skateboard trug. Nun, so erklärte sie, würde sie noch etwas Kleidung kaufen. Das würde ich jetzt auch tun.

 

Dass es ein so riesiges Sortiment an Barbie-Kleidung gibt, verblüffte mich. Wäre da nicht ihr Stil. Dem Lolita-Look würde ich bestimmt keinen Vorschub leisten. Ich wählte Shorts, die wirklich anzogen wirken würden und fand ein T-Shirt, das meinen Kriterien genügte. Nur war ich mir hinsichtlich der Größe nicht ganz sicher, denn ob Brenda eine Größe sechs oder acht trägt, war nicht eindeutig zu entziffern. Die Verkäuferin, der ich meine generellen Bedenken im Hinblick auf Barbie-Kleidung mitteilte, votierte für Größe acht, denn die würde etwas lockerer und eben nicht hauteng sitzen. Wir komplettierten das Outfit und ich ging zur Kasse, wo ich erneut mit einer Frau ins Gespräch kam, die ganz und gar begeistert war, als sie meine Auswahl sah.

 

Kinder (offensichtlich auch Kinderkleidung) und Hunde bieten tolle Gesprächsmöglichkeiten, hört man immer wieder. Dass dem wirklich so ist, konnte ich an diesem Tag feststellen.

 

Zuhause tauschte ich mich mit Tereza über meine Erfahrungen aus. Ich sollte die Geschenke in “papel Kraft”, in Packpapier, einschlagen. So würden sie heil bei Brenda eintreffen.

 

Ob sie Grüße beigefügt hätte, wollte ich wissen. In einem Fall, als ein Junge sich ein Buch, das ihr in ihrer Kindheit viel bedeutete, gewünscht habe, habe sie einige persönliche Worte an den Jungen gerichtet. Doch dies sei eine große Ausnahme gewesen, denn die Aktion sei zum Schutz der Kinder anonym. Brenda sei erst sechs Jahre alt. Unter Umständen glaube sie noch an den Weihnachtsmann. Ich sollte also lediglich die Aufkleber und das Paket mit ihrem Namen und dem Código da Carta, dem Registrierungscode, versehen und als Absender Papai Noel angeben.

 

Ich bin diesen Hinweisen gefolgt und habe das Paket heute im Postamt abgegeben, ohne Porto dafür zahlen zu müssen. Feliz Natal, Brenda.

 

Hintergrund

Vor 23 Jahren hatten brasilianische Post-Mitarbeiter spontan damit begonnen, Wunschzettel zu Weihnachten entgegenzunehmen und zu beantworten. Nach einigen Jahren wurde diese Privatinitiative zum Unternehmensprojekt, das seit 1997 in allen 26 Bundessstaaten und dem Bundesdistrikt (Brasilia) durchgeführt wird. Alle an den Weihnachtsmann gerichteten Briefe zu beantworten, ist, nach Angaben der Correios, das Hauptziel der “Campanha Papai Noel dos Correios”.

 

Seit 2010 sind die Bildungsministerien der jeweiligen Bundesstaaten Partner der Kampagne, die öffentliche Schulen, Kinderkrippen und -heime in sozialen Brennpunkten in das Weihnachtsprojekt einbinden. Die Aktion, die sich dem Millennium-Entwicklungsziel „Primarschulbildung für alle“ der UN verpflichte fühlt, möchte einen Beitrag zur Bildung und der Erweiterung der Schreib- und Lesekompetenz der Kinder leisten. Entsprechend gehört es an den teilnehmenden Schulen, Kinderkrippen und -heime zum Lehrplan, Brief an Papai Noel, den Weihnachtsmann, zu verfassen.

 

In den Jahren 2009 bis 2011 allein gingen 4.396.941 Briefe ein. Über zwei Millionen davon erfüllten die strengen sozialen Kriterien der Weihnachts-Aktion. Knapp 1,5 Millionen Briefe fanden Paten, die Kindern ihre schriftlichen Weihnachtswünsche erfüllt haben.

 

Mehr als 12.000 Ehrenamtliche habe die Correios in den vergangenen drei Jahren bei ihrer Mission, Werte wie “compaixão” (Mitgefühl), “solidariedade” (Solidarität) und “alegria” (Freude) zu vermitteln und Kindern in Not eine große Weihnachtsfreude zu bereiten, unterstützt. Aufgabe der Ehrenamtlichen ist es, die Briefe zu prüfen, zu lesen, zu erfassen und mit einer Nummer zu versehen. Wie viel Zeit der Ehrenamtliche investiert, richtet sich nach seinem Zeitbudget.