Mit einer der längsten Küstenlinien weltweit kann Brasilien einen Superlativ für sich verbuchen. Stolze 8.000 Kilometer misst die Küste, die 2.045 Strände zählt. Fast so zahlreich wie die Strände sind die Rankings, die der Sonnenhungrige konsultieren kann. Kaum zu sagen, wie viele Auflistungen der zehn besten Strände Brasiliens ich in den vergangenen knapp drei Jahren studiert habe.
Wären da nicht unserer sehr speziellen Anforderungen: Abgeschieden soll er sein, unser Traumstrand. Idealerweise findet sich dort ein charmantes Boutique Hotel oder eine stylische Pousada – “livres de crianças”. Gleichzeitig sollte die Flugzeit dorthin kurz – bei einem Land mit einer Fläche von 8.514.215 Quadratkilometern kein leichtes Unterfangen - und der Transfer auch bei gegebener Infrastruktur schnell und bequem sein. Doch damit nicht genug: Wir reisen in der Regel im August oder September, also mitten im brasilianischen Winter, in den Sommerurlaub. Gut, dass Brasilien zwischen 5° nördlicher und 34° südlicher Breite liegt und im Norden des riesigen Landes überwiegend tropisches Klima mit geringen jahreszeitlichen Schwankungen der Temperaturen herrscht.
Wir fanden sie, die Nadel in unserem ganz persönlichen Kriterien-Heuhaufen: Araial d' Ajuda, unweit von Porto Seguro, jenseits des Rio Bunharém. So weit war alles perfekt. Dass sich unser geschickt fotografiertes Boutique Hotel nicht am Strand, sondern auf einer Anhöhe befindet, hatte ich leider erst Minuten nachdem wir die Buchungsbestätigung erhalten hatten, festgestellt. Das Zimmer mit Meerblick und die Traumstrände in unmittelbarer Nähe würde uns entschädigen, tröstete ich mich, und sah von weiteren Recherchen ab, denn gebucht war schließlich gebucht.
Estrada do Mucugê - “A RUA MAIS CHARMOSA DO BRASIL” las sich unser Straßenschild verheißungsvoll. Sie erfüllte sich, die Verheißung, mit jedem Meter, den wir uns unserem Hotel näherten.
Wir hatten die richtige Wahl getroffen, öffneten das über die gesamte Zimmerbreite reichende Panoramafenster, das wir für die kommenden zehn Tage nicht mehr schließen würden, und genossen unseren riesigen Balkon, bis uns die Abenteuerlust packte.
Die Zeitreise begann, denn wir fühlten uns rasch in die 1960er zurückversetzt. Frauen mit wallenden Blumenkleidern, Männer mit langen Haaren, Kinder, die sorglos und selbstbestimmt Strand und Meer genossen. An der „charmantesten Straße Brasiliens“ reihten sich mondäne an hippieske Geschäfte. Daneben Restaurants aller möglichen Stilrichtungen und Galerien verschiedener Couleur. Wir waren inzwischen hungrig geworden. „Lass uns dieses Restaurant einmal anschauen“, schlug mein Mann vor, und bog zügig in eine kleine, spärlich beleuchtete Straße ein. Als ich ihn erreichte, studierte er bereits amüsiert die außen angebrachte Speisekarte. „Ist klar “Prato Hippie Chic”...“, las er vor.Wir waren gespannt.
Er mutete an wie ein Künstler, hätte in seinem ersten Leben Modeschöpfer oder Innenarchitekt gewesen sein können. In seinem Restaurant, mit dem er sich anscheinend einen Traum verwirklicht hatte, hatte er Designerstücke verschiedener Epochen gekonnt kombiniert. Mehr Gastgeber als Gastronom, begrüßte uns der Bohémien in verbindlicher Lässigkeit wie alte Freunde. Nicht weniger verbindlich kamen die bedienden Blumenmädchen daher, die uns schließlich die kulinarischen Köstlichkeiten kredenzten, darunter “Prato Hippie Chic”, ein leichtes, großartiges Fischgericht.
Arraial d’Ajuda, das erfuhren wir erst später, war ein Fischerdorf gewesen, das die Hippies in den 1960er-Jahren entdeckt hatten.