„Lass uns doch zum Luxus-Supermarkt fahren“, schlug mein Mann am vergangenen Samstag spontan vor. Als sich herausstellte, dass er dabei nicht an Casa Santa Luzia, sondern an das nahegelegene st|marche gedacht hatte, machte ich einen Gegenvorschlag.
Wir sollten zum Empório Santa Maria fahren, denn diesen Supermarkt hatte uns eine Freundin, die inzwischen wieder in Deutschland lebt, sehr empfohlen. „Das Empório ist fabelhaft, die Produktauswahl ist einfach einzigartig“, hatte die Freundin berichtet. Sofort hatte ich eingehakt und dieCasa Santa Luzia, meinen favorisierten Luxus-Supermarkt, in dem wir vielleicht drei Mal pro Jahr einkaufen und der fester Bestandteil meiner São Paulo-Sightseeing-Touren ist, im Hinblick auf Ambiente und Auswahl angeführt. „Das ist überhaupt kein Vergleich. Das Empório Santa Maria schlägt die Casa Santa Luzia um Längen“, hatte die Freundin erklärt.
Nun standen wir davor und wollten die Einfahrt herauffahren, was nicht vorgesehen war, denn sofort sprang uns ein edel gewandeter Manobrista entgegen, der unser Auto parken wollte. Valet Parking ist für Supermärkte in São Paulo nicht ungewöhnlich. Selbst unser kleiner Hortifruti, ein Markt mit Schwerpunkt auf Obst und Gemüse, bietet diesen Service an. Allerdings ließ bereits die Livrée des Empório-Manobrista ahnen, dass hier fast alles etwas anders ist.
Wir betraten das Gebäude und befanden uns mitten in einem Restaurantbereich mit Spezialitäten aus unterschiedlichen Ländern, links von uns eine Buchhandlung und ein Bereich mit stylischem Dekobedarf. Wo war nur der Supermarkt?
Ich ging weiter und fand einen schmalen Gang, an dem ungewöhnliche Einkaufswagen parkten. „Das ist kein Einkaufswagen, das ist bestenfalls ein Rollator“, kommentierte mein Mann, der in Ermangelung von Alternativen darauf zurückgriff. Da wir unsere Ernährung vor einigen Wochen umgestellt habe, steuerte ich zielstrebig den Gemüsebereich an und staunte nicht schlecht. Übersichtliche Verpackungseinheiten mit ausgefallenen Produkten wie zum Verzehr geeigneten Blumen, liebevoll drapierten Zitronengrashalmen, Trüffeln und vielem mehr.
Während ich über Angebot und Preise staunte, ließ mein Mann Tomaten auswiegen. „Hast Du gerade diese herausgeputzte Empregada (Haushälterin) gesehen, die ganz nach ‚Vom Winde verweht‘-Manier für ihre Herrschaften einkauft“, fragte mein Mann. Nein, die hatte ich nicht bemerkt. Zu sehr war ich mit dem Sortiment beschäftigt gewesen. „Komm lass uns gehen“, legte mein Mann nach, „das ist hier doch alles etwas übertrieben“.
Auf dem Weg zur Kasse packten wir dennoch das ein oder andere Produkt ein, das wir anderswo nie bekommen würden. Während ich bereits etwas umständlich die Delikatessen auf das Rollband legte, lächelte mich die Kassiererin in gut sitzender Uniform strahlend an. Damit nicht genug: Sie begrüßte mich formvollendet und gleichzeitig so herzlich, als träfe sie eine Bekannte nach langer Zeit wieder.
Nachdem kein Einpackhelfer – Standard in Brasilien – in Sicht war, begann ich die Einkäufe selbst zu verstauen. Völlig irritiert verlangte die Kassiererin sogleich energisch nach einem für diese Aufgabe eingeteilten jungen Mann, der ob seines kleinen Hütchens mehr an einen Hotelpagen als denn an eine Einpackhilfe erinnerte.
Kaum war alles gewissenhaft verstaut, fragte mich der vielleicht 15-Jährige devot, ob unser Fahrer auf uns warten würde. “Como? Não entendi” („Wie [bitte]? Ich habe Sie nicht verstanden.“), fragte ich konsterniert und nicht ganz formvollendet. Unsicher lächelnd wiederholte der junge Mann seine Frage, die ich zu meinem Entsetzen völlig richtig verstanden hatte. Nein, wir hätten das Valet Parking in Anspruch genommen, entgegnete ich, woraufhin er mit unseren Einkaufstüten voranging. Wir folgten dem zarten Jüngling, der uns in einen Wartebereich mit Ledersofa führte und unsere Taschen in Händen behielt.
Auf dem Sofa und darum herum hatte sich offensichtlich die nouveau riche São Paulos versammelt. In gleichen Moment fuhr ein gepanzerter Porsche Cayenne vor und zwei Livrierte eilten herbei, um der Fahrerin die Tür aufzuhalten und ihre Einkäufe zu verstauen. An einem ganz normale Samstagvormittag waren wir plötzlich in die feudale Welt des Südstaatenepos „Vom Winde verweht“ versetzt worden.
Als unser Auto einfuhr, trat ich einen Schritt vor, worauf mich der junge Mann mit den Einkaufstüten etwas zweifelnd ansah, war er doch offensichtlich mit dem Anblick eines Toyota Corolla, dem Allerweltsauto hier in São Paulo, überfordert. In Windeseile huschte er zum Kofferraum, während meinem Mann und mir die Türen aufgehalten wurden. Keine Minute später fuhren wir zurück in die Realität.