Babylonische Sprachverwirrung – Baylonian confusion - Confusão babilônica de línguas

Anlässlich der Fußball-WM 2010 veröffentlichte die Berliner Zeitung am 14.06.2010 folgende Glosse:

 

Sprachverwirrung

 

Plötzlich war das Fernsehbild weg, mitten im Eröffnungsspiel zwischen Südafrika und Mexiko, die Tonspur sprang vom Englischen ins Französische und zurück - das war kein guter WM-Start für den arabischen Sender Al Jazeera. Was war nur passiert? Sabotage natürlich, vermutet der Sender und hat sich umgehend bei der Fußballterrororganisation FIFA beschwert, die natürlich umgehend eine lückenlose Aufklärung versprach. Auch wir möchten dabei helfen, dass die WM überall auf der Welt einwandfrei empfangen werden kann. Das Problem könnte ein technisches sein, und den entscheidenden Hinweis liefert Lothar Matthäus, der während der WM als Kommentator und Aushilfsdeutscher für Al Jazeera arbeitet. "Ich rede Deutsch und Englisch", sagte Matthäus nach Bekanntgabe seines Engagements, "es wird simultan übersetzt." Englisch, Deutsch, Französisch und Arabisch - das war wohl zu viel. Wir hoffen aber, dass with a little bit of lucky die babylonische Sprachverwirrung behoben werden kann. (pal.)


Um im Sprachduktus von Lothar Matthäus zu bleiben: Ich rede momentan Deutsch, Englisch und Portugiesisch. Das Jonglieren mit eben jenen Sprachen birgt so manche Tücken und treibt bisweilen seltsame Blüten.


Ihren Anfang nahm meine persönliche Sprachverwirrung wirklich und tatsächlich in Babylon. Nicht im biblischen Ort, sondern in der 213.603 Einwohner zählenden Stadt Babylon auf Long Island im US-Bundesstaat New York. Mit einem aus Deutschland stammenden Gastvater, einer in Buenos Aires aufgewachsenen Gastmutter und drei in der USA geborenen Gastgeschwistern, von denen ein Sohn sehr gut Deutsch spricht, erlebte ich einen Sprachenmix, der mein Sprachzentrum vor große Herausforderungen stellte. Kurz vor dem sonntäglichen Abendessen tauschte ich mich mit meinem Gastvater auf Deutsch darüber aus, wann er mich am Folgetag zur Bahnstation fahren würde, während sich die Gastbrüder auf Englisch über ihr anstehendes Konzert austauschten und die Gastmutter auf Spanisch noch rasch mit ihrer Freundin telefonierte. Beim gemeinsamen Essen wechselten sich Deutsch und Englisch munter ab, was zur Folge hatte, dass ich meine Gastmutter, wenn wir wie so oft nach dem Sonntagsessen auf der Veranda über das Leben sinnierten, regelmäßig mit deutschen Redebeiträgen verwirrte. Schaute sie mich einmal mehr mit großen Augen an, realisierte ich meinen sprachlichen Lapsus und lieferte meine Position auf Englisch, in unserer gemeinsamen Sprache, nach.


Nachdem ich mich sehr auf die Sprache meines Gastlandes eingestellt hatte, kämpfte ich - zurück in Deutschland – anfangs mit meiner Muttersprache und mixte was das Zeug hielt. Dies kam bei meinen Gesprächspartnern - gelinde gesagt - nicht gut an, woraufhin ich mich sehr konzentrierte und diese Gewohnheit mühevoll ablegte.


In Brasilien schlich sich der vertraute Deutsch-Englisch-Sprachmix wieder ein, denn mit meiner Freundin Tereza und ihrem Mann ergab sich eine ähnliche Sprachkonstellation. Mit ihr, der englischsprachigen Brasilianerin, kommunizierten wir auf Englisch und mit ihrem Mann, dem Deutschen, sprachen wir in der gemeinsamen Muttersprache.


Lange stand nicht zu befürchten, dass das Portugiesische in meinen persönlichen Sprachmix Aufnahme finden würde, denn bestimmt ein Jahr war die neue Sprache im wahrsten Sinne eine Fremdsprache für mich. Doch auch das sollte sich ändern, erst im privaten und später im beruflichen Bereich.


Als ich den Auftrag annahm, ein Buch über die Geschichte einer deutschen Organisation hier in São Paulo zu schreiben, hatte ich organisationsseitig mit Deutschen, Deutschstämmigen aus unterschiedlichen Ländern und mit Brasilianern zu tun. Da mein Sprachvermögen - insbesondere zu Beginn der Zusammenarbeit - deutlich hinter dem sehr guten mündlichen und schriftlichen Sprachverständnis zurücklag, konnte ich, so meine Gesprächspartner des Englischen mächtig waren, wenn ich einen kniffligen Sachverhalt thematisieren musste, auf die Weltsprache ausweichen.


Inzwischen wechsele ich vergleichsweise komplikationsfrei zwischen den Sprachen. Ich redigiere sogar Texte auf Portugiesisch, wobei ich zwar spüre, wenn die Sprache zu wünschen übrig lässt, doch das sprachliche Niveau der Passagen anzuheben, vermag ich (noch) nicht.


Gestern nun hatte sich bei der Hilfsorganisation, für die ich seit einiger Zeit tätig bin, Besuch aus den USA angekündigt. Aus gegebenem Anlass war ich, obwohl ich keine entsprechende Qualifikation besitze, als Übersetzerin gefragt. Wir trafen uns in einem Hotel in Brooklin Novo, um uns vor dem geplanten Projektbesuch über die Arbeit der Organisation auszutauschen. Ich sprach Englisch, Portugiesisch und Deutsch in munterer Abfolge, abhängig davon, mit wem ich gerade sprach und für wen ich übersetzte.Im zweiten Gemeinschaftsgarten von STÄDTE OHNE HUNGER angekommen, blickte mich plötzlich Senhor Genival, der Verantwortliche für den Garten in São Mateus, mit großen Augen an. In diesem Moment wusste ich, dass ich entweder Deutsch oder Englisch gesprochen hatte, denn ich erinnerte mich sofort an den Blick meiner amerikanischen Gastmutter. Also korrigierte ich mich und fuhr meine Konzentration hoch.


Mit der Metrô brach ich zusammen mit den Gästen schließlich auf in Richtung Innenstadt. Dort trennten sich unsere Wege. Meiner führte mich, bevor ich in den Bus stieg, in ein kleines Geschäft an der Metrô-Station. Noch in Gedanken bei den Gästen, erntete ich an der Kasse schon wieder diesen Blick. In Sekundenschnelle ließ ich das Gespräch mit der Kassiererin Revue passieren und musste lachen, denn ich hatte, als die sympathische Frau sich anschickte, meinen Einkauf einzupacken, gedankenverloren erklärt: “I don’t need a bag.”


P.S.: Die schönste Form der Sprachverwirrung bietet allwöchentlich der großartige Bundesligakommentator Gerd Wenzel auf ESPN Brasil. Der 1955 nach Brasilien ausgewanderte Berliner verwirrt regelmäßig seinen Co-Kommentator mit deutschen Einwürfen, die dieser aufgreift und vergnügt mit sehr viel Einsatz möglichst lautgetreu nachspricht.Die Übertragungen auf ESPN sind unser persönliches Highlight, nicht zuletzt da kaum etwas so amüsant ist, wie die brasilianische Aussprache der Spielernamen: Boatengi, Kloppi, Piszczeki, Philippi Lahm, Weiden-Fellerrr, Mandžukići oder Merte-Sackerrr werden uns noch lange begleiten.